Die Helleschlucht gleicht einer alpinen Klamm. Überall in dem engen, kühlfeuchten Tal plätschert Wasser. An den Talflanken wächst ein artenreicher Schluchtwald. Der abenteuerliche Winterberger Schluchten- und Brückenpfad führt hindurch. Trotz der Kürze der Strecke (ca. 4,5 km) ist der Schwierigkeitsgrad durchaus als „mittel“ einzustufen, denn die Wege und Pfade sind stellenweise steil und glitschig. Einschließlich Foto- und Ruhepausen solltet ihr 2 Std. für die Tour kalkulieren. Hinweise zur Anreise und den Link zu einer Karte findet ihr am Ende des Beitrags.
Ein paar Treppenstufen hinunter und wir stehen mitten in der Wildnis. Niemand würde eine solche Dschungelatmosphäre in unmittelbarer Stadtnähe erwarten. Die steilen Hänge und das viele Wasser haben das obere Helletal vor Bebauung und anderweitiger Nutzung bewahrt. Heute hüllt sich der Schluchtwald in herbstliche Farben. Heruntergefallenes, feuchtes Laub sorgt für Rutschgefahr. Als erste von mehreren Brücken quert die Kurpark-Brücke den Hellebach, der hier noch ziemlich winzig wirkt, aber nach den Regenfällen der letzten Tage ordentlich Wasser führt. Teilweise unterirdisch geführt, hat er von seiner Quelle im Westen des Stadtgebiets schon ein paar hundert Meter hinter sich, bevor er sich in die Klamm stürzt.
Hier ist das Revier des seltenen Silberblatts, das seine hortensienähnlichen Blüten Ende Mai bis Juni entfaltet. Jetzt im Herbst glänzen seine transparenten Früchte silbrig. Deren Halbmondform hat der Pflanze den Zweitnamen Mondviole eingetragen. Wie ein Blatt ausgebreitet, fangen sie den Wind ein, der dann für die Verbreitung der Samen sorgt. Als zweite Charakterpflanze des Schluchtwaldes schmückt sich die Quirl-Weißwurz mit blassgelber Herbstfärbung. Ihre sonst wirbelig um die Stängel stehenden Blätter hängen schlaff herunter, bald werden sie völlig hinüber sein.
So richtig Fahrt nimmt die Wasserführung der Helle erst durch den Zufluss des Großen Siepen auf, der über steile Schieferfelsklippen ins Tal fällt. Nachdem die Markierungen des Rothaarsteigs schon zuvor in einer Haarnadelkurve nach links abgezweigt waren, trennen sich hier wiederum zwei Wege. Wir halten uns links mit dem gelben Punkt über eine lauschige Brücke, die den Großen Siepen quert.
Heute soll es trocken bleiben. Bald tut uns sogar die Sonne den Gefallen, zwischen den Wolken hervorzulugen. Sonnenflecken tanzen auf dem Waldboden, die durch Laubfall schon deutlich gelichteten Baumkronen machen es möglich. Mancherlei Kräuter nutzen die letzten frostfreien Tage im Herbst, um mit ihren noch saftig grünen Blättern in dem heller gewordenen Wald Photosynthese zu betreiben und die Reserven für das nächste Frühjahr aufzufüllen. Dies gilt auch für den Baumnachwuchs, der nun endlich mehr Licht abbekommt.
Das Gefälle hat deutlich nachgelassen. Der Talboden der Helle, den wir bald erreichen, erscheint hier reichlich breit. Da ist noch Luft nach oben, was die Wassermassen betrifft, trotz einer Kaskade, die von der nahen Felswand plätschert. Links von uns am südexponierten Hang zeigt sich das rötliche Herbstlaub der Buchen, durch die Mittagssonne beleuchtet, von seiner schönsten Seite.
Der Bodensee hat mit 50 m Breite und knapp 300 m Länge doch etwas bescheidenere Ausmaße als sein berühmter Namensvetter. An seinem sumpfigen Zufluss stehen die riesigen Blätter der Pestwurz, auch als »Wanderers Klopapier« bekannt. Tatsächlich diente die Pflanze schon den prähistorischen Bewohnern von Hallstadt als solches, wie Fossilfunde zeigen, weshalb sie in Bayern bis heute Arschwurz heißt. Ein paar Enten schwimmen ruhig umher. Einen Bachstelze fliegt wippend über den See und lässt sich auf Treibholz nieder. Wir sehen Angler am gegenüberliegenden Ufer mit Gummihosen tief im Wasser stehen, in Erwartung eines guten Fangs. Ein Tisch mit Bänken am Staudamm kommt für eine Pause wie gerufen und markiert den tiefsten Punkt des Schluchten- und Brückenpfads.
Von nun an weisen uns Schilder mit zwei gelben Punkten den Weg. Nachdem wir den Bodensee komplett umrundet haben, zeigt ein Blick nach links oben am Hang einen uralten Buchenbestand. Dann verläuft die Strecke unmittelbar an der Helle entlang, die hier alpines Wildbachformat hat. Ein umgestürzter Baumstamm hat den Bach aufgestaut und einen neuen Wasserfall geschaffen. Überall sickert Wasser von der Felswand gegenüber. Dann führt einmal mehr eine bemooste Holzbrücke über den Bach. Der wohl spektakulärste Teil der Tour beginnt mit einem steilen Treppenaufstieg.
Der bislang recht breite Waldweg wird zum Pfad. Stellenweise ist er matschig, dort wo er durch Quellhorizonte führt. Tief unten sprudelt der Bach. Ein Baum wächst schräg über den Weg, die schwindelerregende Stelle ist durch eine Kette gesichert. Wie in den Alpen eben. Die Helletalbrücke führt schließlich zu einer schon bekannten Abzweigung. Auf den letzten Metern ist die Route mit dem Hinweg identisch. Wer möchte, kann während des anstrengenden Anstiegs eine Pause auf einer urigen Holzbank einlegen, noch einmal mit Blick in den herbstlichen Wald. Wir bewundern bizarre Pilze, die aus dem Herbstlaub schießen, und verlassen dann das Helletal an der Stelle, wo wir es betreten haben.
Das i-Tüpfelchen kommt zum Schluss. Während wir auf einer Bank im angrenzenden Kurpark unser mitgebrachtes Picknick verzehren, kreisen circa 15 Greifvögel über der Helleschlucht. Mäusebussarde, den Silhouetten nach zu urteilen. Wir sind zunächst völlig überrascht. Sonst sind diese Tiere doch nur allein oder zu zweit unterwegs. Eine kurze Internetrecherche ergibt, dass Bussarde durchaus Zugverhalten zeigen und sich zu diesem Zweck zu Schwärmen zusammenfinden. Sind sie von Skandinavien auf dem Weg nach Südwesten? Oder verlassen sie ihr Brutgebiet im Hochsauerland, um in wärmere Regionen zu fliegen? Noch ist es an diesem ersten Novembertag mild, doch für kommende Woche ist ein Temperatursturz vorhergesagt.
Wir starten an einer Wandertafel am Westrand des Winterberger Kurparks (GPS 51.195684, 8.533115). Parkplätze am Einkaufspark Neue Mitte (So/Fei gratis, sonst Parkautomat) und vor der Touristeninformation (Am Kurpark 4, kostenfrei; wenige Minuten zu Fuß bis zum Ausgangspunkt). Auch der Bahnhof liegt ganz in der Nähe. Der Schluchten- und Brückenpfad ist perfekt ausgeschildert, also kann die Navigationsfunktion ausgeschaltet bleiben. Abwärts ist die Route mit einem gelben Punkt markiert, beim Wiederaufstieg orientiert man sich an zwei gelben Punkten. Bei Komoot findest du einen Routenplan. Weitere Infos siehe auch hier. Der Plan auf der oben erwähnten Wandertafel zeigt nicht den aktuellen Stand, da ein Wegabschnitt aus Sicherheitsgründen schon länger gesperrt ist.
Unser Einkehrtipp nach der Tour: Eine unkomplizierte Adresse mitten im Zentrum von Winterberg ist das Café Extrablatt. Wenn ihr regionale Produkte mitnehmen möchtet, ist der ebenfalls zentral gelegene Hofladen Sauerland (Hagenstraße 4) die perfekte Anlaufstation.