Niederrhein: Wildgänse auf der Bislicher Insel

Hundertausende von Wildgänsen überwintern am Niederrhein. Jedes Jahr werden es mehr. Nirgendwo sind sie einfacher auf eigene Faust zu beobachten als an der Bislicher Insel bei Xanten. Du brauchst dafür keine Profiausrüstung. Rechne etwa 4 Std. für die Exkursion, die sich idealerweise nachmittags bis zum Einbruch der Dunkelheit erstreckt, wenn die Gänse ihre Schlafplätze anfliegen – ein großartiges Erlebnis. Klarer Himmel und ein Wochentag ohne großen Andrang sind von Vorteil. Hinweise zur Anreise und der Link zu einem Plan des Naturschutzgebiets stehen am Ende des Beitrags.

Wildgänse sind weniger scheu, wenn sie aus dem Auto heraus beobachtet werden. Diesen Rat kann ich gleich bei der Anfahrt beherzigen. Schon bevor ich die Rheinfähre erreiche, sehe ich an der Gelderner Straße zahllose Wildgänse. Praktischerweise ist da ein Parkstreifen am Straßenrand. Die Vögel äsen auf einem umgepflügten Acker und auf der verfilzten Weidefläche nebenan. Ich zähle mehrere hundert Vögel, bei denen es sich wohl vorwiegend um Blässgänse handelt. Sie sind an der weißen Stirn zu erkennen, der „Blässe“. Mittendrin stolzieren zwei elegante Graureiher. Während sich die Gänse alle rhythmisch in dieselbe Richtung bewegen, staksen die Reiher in Gegenrichtung. Zufall?

Als ich in den Eyländer Weg einbiege, halte ich kurz direkt am Rhein, um die Szenerie zu genießen und das Hochwasser nach den vergangenen, regenreichen Tagen zu bestaunen. Das Grundwasser ist stark gestiegen. So glitzern auch auf den angrenzenden Landflächen zahlreiche Teiche und Pfützen. 

Gleich nebenan sind Kopfweiden zu bewundern, die charakteristischen Bäume des Niederrheins. Einst regelmäßig in Kopfhöhe abgeschnitten, dienten sie den Menschen als Lieferanten für Brennholz und Ruten zum Körbeflechten. Ihrer früheren Funktion beraubt werden sie heute ehrenamtlich betreut, um das Landschaftsbild zu bewahren.

Obwohl es erst gegen 14 Uhr ist, steht die Dezembersonne tief und sorgt für eine fast unwirkliche Ausleuchtung der Auenlandschaft. Auf einem Teich treiben drei Schwäne. Später werde ich einen von ihnen behäbig vorbeifliegen sehen.  

Wieder stoppe ich das Auto, lasse die Scheibe hinunter. Ungerührt futtert ein Trupp Gänse weiter, entfernt sich jedoch ganz langsam, Schritt für Schritt, von mir. Urplötzlich schreckt der Schwarm auf, erhebt sich in die Luft. Vielleicht war irgendwo einer der Seeadler, die wieder bei Xanten heimisch sind, in Sicht. Ich habe keinen gesehen.

Bei einem Bauernhof grasen zwei Galloway-Rinder. Grund genug, das Auto zu verlassen, um sie abzulichten. Das Vorhaben, auf dem matschigen Feldweg an der Weide vorbei nochmals den Rhein zu erreichen, lasse ich bleiben. Auf der angrenzenden Fläche stampfen viele Gänse herum, die ich zu Fuß nicht aufstören möchte. Denn jeder erzwungene Start kostet die Tiere unnötig Kraft. Auch wenn sich ab und zu ohnehin ein paar von ihnen scheinbar grundlos zu einem fliegenden Schwarm vereinen, der in der Gegend herumkreist, um sich irgendwann wieder niederzulassen. Krähen sitzen in den Bäumen oder mischen sich fliegend unter die Gänse. 

Da das AuenCafé im NaturForum im Winter geschlossen ist, wärme ich mich auf dem Parkplatz an einem mitgebrachten Tee aus der Thermoskanne und nutze anschließend die Gelegenheit, die Ausstellung im Besucherzentrum anzuschauen. Unter anderem werden ausgestopfte Exemplare verschiedener Gänsearten gezeigt, um die Unterschiede zu verdeutlichen. Gegenüber vom NaturForum beobachte ich Graugänse, die im Gegensatz zu den Blässgänse, die nur für den Winter aus der Arktis einfliegen, ganzjährig am Niederrhein leben. Die Graugans wurde in den 1960er-Jahren auf der Bislicher Insel ausgewildert, ursprünglich für die Jagd, nachdem sie zuvor schon lange aus dem Gebiet verschwunden war. Unter die Gänse mischen sich Nutrias, auch Biberratten genannt. Diese im Naturschutzgebiet nicht so gern gesehene Tiere wurden einst aus Südamerika eingeschleppt und gelten als invasiv. Im Sommer verspeisen sie innerhalb kürzester Zeit ganze Teppiche von See- und Teichrosen. Jetzt im Dezember halten sie sich an die gleiche Kost wie die Wildgänse.

Sympathischer finde ich zwei Hasen, die sich ebenfalls in Gesellschaft eines Gänsetrupps wohl fühlen. Etwas größer als die Blässgänse, sind sie an ihren Körpermaßen und den auffällig langen, steil nach oben gerichteten Ohren von Kaninchen zu unterscheiden. Offenbar gibt es seit einigen Jahren wieder mehr Feldhasen speziell in Nordwestdeutschland, wo zuletzt etwa 25 Tiere pro Quadratkilometer gezählt wurden. So stehen die Chancen auf Sichtung der Langohren recht gut. 

Foto: WFranz bei Pixabay

Im weiteren Verlauf Richtung Osten berührt der Eyländer Weg die Kleine Flutmulde, einen abgeschnittenen Teil des Alten Rheins, der die Bislicher Insel wie ein Gürtel umgibt.  Blässhühner und Haubentaucher treiben auf der Wasserfläche. Letztere tragen jetzt außerhalb der Brutzeit ihr graues Schlichtkleid, sind aber durch ihre ruckartigen Tauchbewegungen unverkennbar. Hier halten stets mehrere Autos von geduldigen Ornithologen, die mit dem Teleobjektiv auf die besten Fotogelegenheiten warten.

Foto: Takashi_Yanagiwawa bei Pixabay

Nebenan grasen Wildgänse in großer Zahl auf den Wiesen. Wie mir eine freundliche Dame im NaturForum verriet, fliegen sie erst zum Einbruch der Dunkelheit ihre Schlafplätze an. Bis zum offiziellen Sonnenuntergang, der heute laut Internet um 16.23 Uhr stattfindet, bleibt mir noch ein wenig Zeit, auch wenn schon Dämmerlicht heraufzieht.

Ich nutze die Gelegenheit, um in Xanten beim Bäcker Proviant zu beschaffen. Mit einem Rosinenbrötchen ausgerüstet kehre ich eilig zum NaturForum zurück, um ja nichts zu verpassen. Doch ich muss mich gedulden. Nach wie vor sehe ich die Gänsetrupps auf den Wiesen. Daher schlendere ich in aller Ruhe auf dem breiten Fußweg in den Kernbereich des Naturschutzgebiets. Nur auf diesem Weg ist das Betreten gestattet. Mein Ziel sind die beiden ersten Beobachtungshütten. Die linke davon soll der ideale Standort sein, um den Einflug der Gänse zu beobachten, die sich für die Nachtruhe auf den durch Kiesabbau entstandenen Seen inmitten der Bislicher Insel einrichten. Doch es soll nicht sein. Hochwasser versperrt den Weg. Die seitliche Sicht auf das angrenzende Gewässer, wo ich Gänseschlafplätze vermute, ist durch Gebüsch arg eingeschränkt.

Daher kehre ich zum großen Teich am Beginn des Naturschutzgebiets zurück, auf dem bislang nur ein paar kleinere Wasservögel dümpeln. Die Dämmerung ist jetzt schon recht fortgeschritten. Eine einsame Gans kreist über dem Gewässer, vielleicht als Kundschafter eines größeren Schwarms. Dann folgen kleinere Trupps, gern in der typischen V-Formation.

Auf einmal schwillt das Geschnatter an. Seit dem Sonnenuntergang ist eine Dreiviertelstunde vergangen, das verbliebene Tageslicht reicht kaum noch zum Fotografieren. Jetzt sehe ich sie landen. Irgendwo im hinteren Teil des Gewässers, ihre Gestalten verlieren sich in der Dunkelheit. Noch lange kehrt keine Ruhe ein. Offenbar haben sich die Gänse viel zu erzählen oder zanken sie um den besten Schlafplatz? Die auf der Bislicher Insel halbwild lebenden Rinder tragen brüllend zum Konzert bei. Schon stehen erste Sterne am Himmel, als das Stimmengewirr allmählich verebbt.

Die Anfahrt erfolgt ab Xanten über die Geldener Straße und den Eyländer Weg bis zum gebührenfreien Parkplatz (GPS 51.654478, 6.500293) am RVR-NaturForum Bislicher Insel. Die Ausstellung im NaturForum öffnet November bis März von 10 bis 17 Uhr, April bis Oktober von 10 bis 18 Uhr, am Montag ist sie jeweils geschlossen. Der Eintritt ist frei. Einen detaillierten Plan des Naturschutzgebiets mit dem einzigen erlaubten Fußweg und den Beobachtungshütten findest du hier (ganz nach unten scrollen). Das AuenCafé am NaturForum öffnet nur in den Sommermonaten. Im Winterhalbjahr empfiehlt sich die Mitnahme von Getränken und Proviant. Bitte auch ein Fernglas nicht vergessen!

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