Generationen von Wallfahrern mühten sich hier ab, um aus allen Teilen der Insel zu Fuß zum Bergkloster Lluc zu gelangen und die dort aufbewahrte Schwarze Madonna zu verehren. Den letzten Wegabschnitt oberhalb von Caimari legten sie durch wildes Bergland voller Felstürme und schroffer Schluchten zurück. Durch den Straßenbau des 20. Jahrhunderts zunächst überflüssig, wurde der alte Weg seit den 1980er-Jahren als historisches Kulturgut restauriert. Er bietet heute eines der schönsten Naturerlebnisse Mallorcas. Die reine Gehzeit auf dem Camí Vell de Lluc ab Caimari beträgt ca. 3 Stunden. Einschließlich Anfahrt per Linienbus von Lluc nach Caimari, zwei Einkehrpausen und einer Picknickpause haben wir für die Unternehmung etwa 4,5 Stunden benötigt.
Licht und Schatten zeichnen ein krasses Bild. Den Wegbeginn begleiten längst aufgelassene, überwucherte Feldterrassen aus dem 19. Jahrhundert, Ses Rotes de Caimari. Heute sind sie denkmalgeschützt. Von bogenförmigen Mäuerchen gestützt schmiegen sie sich in den Schatten unter dem gleißend hellen Bergklotz Puig de n’Escuder. Dieser wird wegen seiner senkrechten Flanken für eine mittelalterliche Naturfestung der Mauren während der Reconquista gehalten.
Im Steineichenwald tauchen gigantische Felsen auf. Einen davon, Es Pedrolí del Gegant, soll ein Riese hier zurückgelassen haben, dem er im Schuh drückte. So lautet eine Legende.
Noch ist die Idylle nicht ganz perfekt, da die Straße recht nah am Weg verläuft. Als wir sie überqueren, begegnen uns einige nicht wirklich scheue Ziegen, ein noch sehr junges Zicklein ist auch dabei. Für ein Foto verschwinden sie dann doch zu schnell im Wald, daher hier mal wieder ein Symbolbild. Ziegen werden auf Mallorca traditionell in den Bergen halbwild gehalten. Ausländische Jäger zahlen für den Abschuss eines Wildziegenbocks inzwischen viel Geld.
Von nun an wird es urig. Wir sind auf dem alten Pflasterwegabschnitt Sa Costa Llarga. Horizontale Reihen herausstehender Steine ragen aus dem rundlichen Kopfsteinpflaster. Sie sollen das Regenwasser fortleiten und dienen auch als Halt beim Aufstieg auf dem eher rutschigen Untergrund. Da diese Stufen aber viel größere Abstände haben als die Schritte eines Menschen, heißen sie hier Passes de Gegant, also Riesenstufen.
In dieser Gegend wurden früher rund um die Finca Son Canta Oliven und Olivenöl gewonnen, auch dies eine inzwischen aufgegebene Tätigkeit. Wir überblicken eine karge Gegend aus Felsen, alten Ölbäumen und Steineichenwald. Bei dem einsamen Bauernhof sorgen Blütenkerzen der Baum-Aloe für orangerote Farbtupfer. Sie zählt zu den wenigen um die Weihnachtszeit blühenden Pflanzen auf Mallorca. Ursprünglich stammt sie aus dem südlichen Afrika und kam als Zierpflanze in die Inselgärten.
Ein paar Meter geht es parallel zur Straße abwärts, an einem Picknickplatz vorbei und durch eine Unterführung, hinter der sich der Wanderweg entlang des Torrent de sa Coveta Negra fortsetzt. Hier treibt nun eine Wildpflanze schon reichlich Blüten, nämlich der mit dem Aronstab verwandte, aber sehr viel kleineren Krummstab.
Riesige Gesteinsbrocken türmen sich im Bachbett des Torrent auf. Wir treffen auf das kreisrunde, über Treppenstufen zugängliche Fundament eines alten Kohlenmeilers. Ein häufiger Anblick in den Bergen Mallorcas. Bis um die Mitte des 20. Jahrhunderts waren derlei Konstruktionen noch rege in Betrieb. Viele Gebirgsbewohner lebten vom Verkauf der Holzkohle und verbrannten für deren Gewinnung das Holz der hier wachsenden Steineichen. Der inzwischen nicht mehr genutzte Wald ist jetzt dicht und üppig.
Weiter oben am Hang lichtet sich der Wald, der Weg schraubt sich in Serpentinen hinauf. Hier gedeihen sonnenhungrige, mediterrane Pflanzen: duftender Rosmarin mit hellblauen Blüten und die Vielblütige Heide, eine auf Mallorca sehr häufige Verwandte der westeuropäischen Glockenheide (Erica), deren herbstliche Blütezeit jetzt um die Jahreswende dem Ende entgegengeht.
Wir haben Sa Llonganissa erreicht, einen schnurgeraden Wegabschnitt, der Anfang des 18. Jahrhunderts neu angelegt wurde, um einen äußerst gefährlichen Weg zu ersetzen. Er wurde scherzhaft nach der gleichnamigen, sehr langen Wurst benannt, die in Katalonien und auf Mallorca beliebt ist. Seinen doch recht erhebliche Breite verrät, dass er ursprünglich nicht nur für Fußgänger, sondern auch für Fuhrwerke gedacht war.
Sa Llonganissa mündet in einen Mirador über einer senkrechten Mauer. Für eine kleine Pause ist die dortige Bank geschaffen. Wir blicken steil hinunter auf die gewagt durch schroffe, ansonsten völlig unzugängliche Felslandschaft geführte Straße.
Und hier sehen wir sie, drei Mönchsgeier, die seelenruhig durch den fast unwirklich blauen Himmel segeln. Von Mallorca war diese Geierart schon fast verschwunden, hat sich aber in den letzten Jahren dank intensiver Schutzmaßnahmen wieder erholt. Da der Mönchsgeier sich ausschließlich von Aas ernährt, hängt sein Vorkommen auch von den im Gebirge gehaltenen Schafen und Ziegen ab. Da diese wieder zahlreicher geworden sind, findet er mehr verendete Tiere. Wichtig ist aber nach wie vor die Zufütterung, die – von Naturschützern organisiert – inzwischen in einigen privaten Fincas stattfindet.
Danach passieren wir eine künstlich geschaffene Bresche im Fels, Sa Bretxa Vella. Ähnlich wie beim Bergbau in früheren Jahrhunderten üblich, wurden hier einst per Hand in wochenlanger Kleinarbeit Löcher gebohrt, um das Gestein anschließend mit Schießpulver zu sprengen. Am folgenden steilen Nordhang wird der Weg schattig und eng, gar abenteuerlich. Diese Stelle heißt Salt de la Bella Dona, der „Sturz der schönen Frau“. Einer Legende nach soll hier ein vom Teufel angestifteter Köhler aus Eifersucht seine Frau in die Tiefe gestoßen haben. Unschuldig wie sie war, traf er sie am nächsten Tag völlig unversehrt in der Kirche von Lluc an.
Bei der Finca Es Guix begegnen uns gewaltige Steineichen, die mehrere Jahrhunderte auf dem Buckel haben mögen. Dann berührt der Weg die verwitterte und bemooste Font des Guix, die nicht zum Trinken geeignete „Gipsquelle“, und mündet kurz vor dem Coll de Sa Batalla in die Landstraße.
Am Coll de Sa Batalla sollen sich Banditen im Jahre 1618 eine verlustreiche Schlacht mit königlichen Truppen geliefert haben. Nach einer willkommenen Rast in der Bar bei der Tankstelle am Pass verlassen wir bei der folgenden Straßengabelung den GR 222 und schlagen den ausgeschilderten Camí Vell de Lluc ein. Dieser ist zwar inzwischen asphaltiert, lohnt sich aber dennoch. Unterwegs genießen wir das Gebirgspanorama mit der Berghütte Refugi Son Amer und im Hintergrund dem 1103 m hohen Puig Tomir.
Die Font Coberta wurde schon 1344 erstmals urkundlich erwähnt. Ihre heutige, imposante Quellfassung stammt aber aus dem 19. Jahrhundert, wie eine Inschrift bezeugt. Zwar liefert die Quelle nicht viel, dafür aber frisches Wasser. Offiziell wird es nicht als Trinkwasser geführt, aber gerade ist ein einheimisches Paar dabei, es in Dutzende mitgebrachter Plastikflaschen abzufüllen. Der Überlieferung nach soll es gesund und heilsam sein. Gegenüber bestaunen wir die mutigen Camper auf dem Zeltgelände, die nachts im winterlichen Lluc mit Minusgraden rechnen müssen. Sie wärmen sich an den Feuerstellen, die zu jeder Parzelle gehören. Kurz darauf ist der Sehnsuchtsort aller mallorquinischen Pilger, das einsame Bergkloster Lluc, erreicht.
Unser Routenvorschlag folgt von Caimari bis zum Coll de Sa Batalla dem Fernwanderweg GR 222, danach bis Lluc dem ausgeschilderten Camí Vell de Lluc. Der eigentliche Einstieg in unsere Route erfolgt am Mirador de ses Rotes (auch Mirador de sa primera volta), an der Straße Ma-2130 etwa 400 m oberhalb von Caimari (Wandertafel in der Kurve; GPS 39.776067, 2.897686). Bis dorthin sind es von der Bushaltestelle am unteren Ortsrand von Caimari entlang der Ortsdurchgangsstraße ca. 10 Minuten Fußweg. Wer mit dem Auto gekommen ist, kann direkt am Mirador parken, der dortige Parkplatz ist allerdings recht klein. Der Linienbus der tib von Lluc nach Caimari (Linie 312) verkehrt im Winter nur dreimal täglich, ihr müsst also genau planen. Wer sicher gehen will, fährt früh los und parkt am Kloster Lluc (Tagesgebühr 2 €), nimmt – so wie wir es gemacht haben – den ersten Bus morgens bis Caimari und wandert zum Auto zurück. Einen Tourenplan findest du bei Komoot. Weitere Infos gibt es hier und hier.
Einkehrtipps für vor und während der Tour: In Caimari führte uns der Weg von der Bushaltestelle am unteren Ortsrand durch das Ortszentrum am klassischen mallorquinischen Kaffeehaus S’Aturada vorbei, dem wir nicht widerstehen konnten. Später erwartete uns am höchsten Punkt der Tour, schon gegen Ende der Wanderung, die Terrassenbar am Coll de Sa Batalla. Schon manchen Radfahrer soll sie vor dem Verdursten bewahrt haben. Aber auch Wanderer sind gern gesehene Gäste.